Zwei Tage Landgang auf Athena war doch etwas Feines... wenn nur der böse Alkohol nicht gewesen wäre....
Mit einem fast verzweifelten Murren versuchte Adhara, den lästigen Sonnenstrahl von ihrem Gesicht fern zu halten, der sich durch die Vorhänge bahnte. Wo zum Teufel war sie hier? War das überhaupt das richtige Hotelzimmer? Sie tastete neben sich. Warmer Körper. Ein kurzes Blinzeln. Richtiger Körper.
Nein, die Augen zu öffnen sprengte ihr fast den Schädel. Sie zog sich die Decke über das Gesicht und versuchte, sich an irgendetwas zu erinnern, was letzte Nacht passiert war. Sie waren in einer Strandbar gewesen... soweit kam sie noch. Und so wie ihr Schädel brummte, hatte sie ordentlich durcheinander getrunken- bis zum Filmriss. Einzelne Bilder tauchten auf... Sie waren eine Straße entlang gelaufen...aber nicht alleine. Richard? War er möglicherweise dabei gewesen? Oder hatte sie das nur geträumt?
"Chéri?"
Von Tom kam nicht viel Reaktion. Vermutlich ging es ihm ähnlich. Adhara nahm allen Mut zusammen um doch die Augen zu öffnen. Wenn sie im richtigen Hotelzimmer gelandet waren, dann hatte sie die "heiligen" grünen Pillen im Bad. Mühsam rappelte sie sich ein Bisschen auf. Ihre Kleidungsstücke lagen überall wild verstreut.
Toms Genkenwelt explodierte und zwar heftig ehe er feststellte das er tatsächlich aus einem Koma epischen Ausmaßes wieder von den Toten zu den Lebenden gewandelt wurde... und das mit einer gehörigen Portion Kopfschmerzen.
Das Licht, jedes Geräusch und selbst das rascheln des Stoffes lösten eine Inferno des Grauens in seinem Kopf aus und vorsichtig tastete er neben sich.
"Cherie?" fragte er leise und kniff die Augen zusammen bis die Schmerzen erträglich wurden. Dann versuchte er sich langsam aufzusetzen und hielt die Augen geschlossen.
"Mhm...", stöhnte sie leise, noch immer versucht, aufzustehen und sich zu orientieren.
"Merde, wir sind zu alt für diesen Scheiß..."
Wie auch immer hatten sie es tatsächlich ins richtige Hotelzimmer geschafft. Eigentlich hatten sie nur vor gehabt, sich zwei schöne Tage auf Athena zu machen. Ein Bisschen Bummeln, ein Bisschen Strand...ein paar Cocktails, die Seele baumeln lassen.... An irgendeinem Punkt musste es gestern eskaliert sein.
"Ich 'ol uns die grünen Pillen aus dem Bad.... "
Die hatten schon so manchen Kater zumindest etwas erträglicher gemacht, auch wenn sie sich gerade nicht wirklich vorstellen konnte, heute hinaus ins Sonnenlicht zu gehen. Adhara stand vorsichtig auf und hoffte, dass ihr Kreislauf mitmachte. Nach einem Moment des Sammelns tapste sie ins Bad und kramte die Tagesretter aus ihrer kleinen Reiseapotheke im Kulturbeutel. Hastig spülte sie zwei davon mit etwas Wasser aus dem Zahnputzbecher herunter und füllte ihn für Tom neu auf.
"Wie spät ist es eigentlich?"
Eine wirkliche Antwort erwartete sie nicht. Tom sah genauso aus wie sie sich fühlte. Irgendwie musste sie schmunzeln. Wann hatte sie sich zuletzt derart betrunken, dass sie sich an absolut nichts mehr erinnern konnte?
"Bitteschön...", sie reichte Tom ebenfalls zwei Pillen und den Zahnputzbecher und verfluchte sich, keine Kochsalzlösung in der Nähe zu haben.
Angestrengt und im Schildkrötentempo räumte sie ihre Kleidung vom Boden um zu überprüfen ob sie auch nichts verloren hatten. Wie durch ein Wunder fehlte ihnen nichts. Doch aus Toms Hosentasche fiel ein zusammengefaltetes Papier... Seltsam hochwertiges Papier....
Verwirrt und neugierig entfaltete sie es.
Heiratsurkunde Dieses Dokument gilt als Bezeugung der Eheschließung nach dem Gesetz von Athena, gültig in der gesamten Terran Confederation.
Little White Chapel, Athena, Sternzeit 2705.080
Eheschließung zwischen Adhara E'Lar , geborene De Lacroix und Tom E'Lar
Trauzeugen Richard T. Bouse und Yurien McBrenton
Eine ganze Weile starrte Adhara auf das Dokument, jegliche Restfarbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Dafür fühlte sie sich schlagartig eine Spur nüchterner.
"Du...erinnerst dich auch nicht an letzte Nacht, oder....?"
"Nicht wirklich... wir werden schon nix großartiges getan haben!" sagte er gequält und in einem Anflug von Wahnsinn nahm er ihr den komischen Zettel aus der Hand und nachdem er es ein zweimal gelesen hatte war er zwischen lachen und heulen.
Nichts Großartiges getan? Adhara ließ sich die Urkunde aus der Hand nehmen.
"Nicht nur deine.... All die Vorbereitungen... "
Die ganze Sache wäre vielleicht wirklich noch irgendwie lustig gewesen wenn ihre Familien nicht im Hintergrund seit Monaten eine große Feier organisieren würden.
"Und wer ist dieser McBrenton? Wir 'aben einen wildfremden Trauzeugen...."
Das hätten die beiden Wests sein sollen. Zumindest kannten sie Richard. Dann waren diese Erinnerungsbruchstücke, dass er gestern dabei war tatsächlich korrekt gewesen...
Etwas hilflos sah sie Tom an und musste schließlich doch irgendwie lachen- wenn auch eher auf eine verzweifelte Art.
"Zumindest 'aben wir uns- und nicht jemand Fremdes geheiratet... Merde! Das wär's noch gewesen... Was machen wir jetzt?"
Ihr Lachen ging in ein leises Schluchzen über. Da hatten sie im Suff geheiratet und beide keinerlei Erinnerung an den Tag, über den man immer sagte, dass er doch eigentlich der schönste im Leben sein sollte....
Angestrengt überlegte sie nach Lösungen des Problems, so dass all die Planung nicht umsonst sein würde, dass sie ihre Familie und die Wests nicht enttäuschen würden... Die grünen Pillen schienen langsam Wirkung zu zeigen, denn nach und nach wich Verzweiflung klareren Gedanken.
"Auf Sol war es früher üblich, neben der standesamtlichen Trauung noch mal kirchlich zu 'eiraten... "
Sie suchte Toms Blick.
"Ich mein, ich bin nicht gläubig...aber so 'ätten wir zumindest eine Zeremonie an die wir uns erinnern. Und die Vorbereitungen wären nicht umsonst. Es würde uns nicht davor bewahren, unseren Leuten zu beichten, dass wir große Scheiße gebaut 'aben, aber theoretisch müsste man nur den Standesbeamten durch einen beliebigen Priester austauschen... "
Adhara hoffte, dass ihr einsetzender Pragmatismus vielleicht etwas an der Situation retten konnte.
Die Dunkelheit lichtete sich langsam und das erste was Starburst wahrnahm, war das rascheln von Blättern und ein schnupperndes Geräusch vor seinem Gesicht. Langsam öffnete er die Augen und sah sich Nase an Nase mit einem pelzigen Wesen, welches Richard als Chihuahua identifizierte.
"Mutzi? Mutzi!" schallte es von irgendwo her und der Chihuahua stieß ein kurzes bellen aus und rannte davon.
Langsam wurde er seiner Umgebung gewahr. Richard lag unter einem Busch mit großen Blätter, die gerade so hoch im Geäst hingen, so das er Geschützt darunter liegen konnte. Rund herum war weiteres Gebüsch und der Boden war mit Rindenmulch bedeckt. So langsam setzten Hämmernde Kopfschmerzen ein und Ihm viel auf das die Vögel auf den Bäumen eine Lautstärke an sich hatten, die für solche kleinen Federbälle unnatürlich war.
Behutsam richtete er sich auf und befreite sich aus der Decke, in die er sich eingewickelt hatte. Hey, ich bin noch vollständig angekleidet. Wenigstens etwas. dachte Richard bei sich. Die Erinnerungen daran wie er hierher gekommen war, entzogen sich Ihm. Das letzte was Ihm wieder Einfiel war, dass er mit Corbeau und Mako losgezogen ist. Kitty hatte sich mit ein paar Kameradinnen von der Navigationsschule getroffen und hatte ihn dazu ermutigt.
Und dann kam die hohe Schlagzahl die sie vorgelegt hatte zurück in sein Gedächtnis.
"Klassischer Fall von Filmriss... Lange her, hab Dich nie vermisst. brummelte er bei sich. Langsam faltete er die Decke zusammen und entdeckte dabei die aufgestickten Worte 'Extrablatt - Athena'. Irgendwann hatten wohl seine Instinkte die Kontrolle übernommen und Richard hatte irgendwo eine Decke geklaut und sich ein sicheres Plätzchen in der Botanik gesucht.
Von irgendwoher hörte er das Plätschern von Wasser. Somit stand seine Marschrichtung fest. Schließlich brach er aus dem Gebüsch und trat auf einem Kiesweg, auf dessen anderen Seite ein kleiner Bach floss. Im Moment war er alleine und stolperte auf den Bach zu, wo er sich kurz das Gesicht wusch. Das Kalte, klare Wasser vertrieb etwas die Kopfschmerzen und er säuberte sich so gut er konnte. Nach ausgiebigen Strecken und Recken, wobei einige Gelenke fröhlich knackten, machte Richard sich auf dem Kiesweg zu folgen, die Richtung war Ihm dabei nicht wichtig. Die Spaziergängerin mit dem Chihuahua, seinem ersten Anblick an diesem Tag, legte den Schluss nahe das er sich in einem der Parks der Hauptstadt von Athena befand.
Der Blick auf seinen Pip-Boy PDA verriet Ihm, dass der Vormittag schon Fortgeschritten war. Kurz schrieb und sendete er eine Nachricht an Corbeau und Mako.
"Wir kriegen das alles hin... ich muss erstmal nur den Kater besiegen." sagte Tom stöhnend und versuchte sich weiter aufzurichten ehe er das vibrieren des PDAs hörte und sich langsam umdrehte um es zu erhaschen.
Die Nachricht ließ ihn schmunzeln ehe er eine Nachricht zurückschrieb.
Gelandet im Hotel.. Irgendwie
Er schickte Starburst nur kurz den Standort und wimdete sich dann wieder seiner Frau.
Auch Adhara bekam die Nachricht ihres spontanen Trauzeugen. Ob er schon von seinem Glück wusste? Vermutlich nicht... Auf dem Tisch stand noch eine fast ausgetrunkene Sektflasche mit einem "Little White Chapel- Logo. Adharas Magen drehte sich beim bloßen Gedanken daran fast um und sie tapste zur Balkontür um zu lüften.
"Zähne putzen 'ätte was... und eine ausgiebige Dusche!"
Sie streckte eine Hand nach Tom aus.
"Kommst du mit?"
Sicher würde es ihnen besser gehen wenn sie den Geschmack von altem Teppich und Alkohol los würden.
Eine Stunde später warteten sie in der Hotellobby auf Starburst. Mann und Frau... So wirklich war es noch immer nicht gesackt. Zurück auf der Sewastopol würden ein paar "Gänge der Schande" anstehen. Adhara würde ihre Namensänderung melden müssen. Sie müssten beiden ihren eigentlichen Trauzeugen gestehen, dass jemand anderes ihren Job übernommen hatten- darunter ein komplett Fremder... Doch das was sie am meisten wurmte war, dass sie sich an nichts erinnern konnten. Da hatte man als eigentlich pragmatischer Kopfmensch einmal die romantische Vorstellung von einer Hochzeit in weiß, einem Tag voller Emotionen, einer bewussten Entscheidung, dem Zusammensein mit Familie und Freunden....
"Adhara E'lar... ", murmelte sie leise.
Etwas abwesend spielte sie mit dem Verlobungsring, den sie noch immer an ihrer linken Hand trug. Sie nahm ihn ab und steckte ihn auf die rechte Hand.
Wie Starburst heraus fand, befand sich der Park in dem er Aufgewacht war, im Vergleich zu den Koordinaten die von Mako gesendet worden waren, am anderen Ende der Stadt. Der Pochende Kopfschmerz nervte nur einfach, aber Richard war sich sicher das er das einfach 'Ablaufen' konnte.
Eine Stunde später betrat Richard die Lobby des Hotel in dem Mako und Adhara wohnten. In der rechten Hand trug er einen riesigen To-Go Becher extrem Starkem Kaffee, unter dem Linken Arm hatte er eine Box auf dem das Logo einer Intergalaktischen Donut-Kette eindeutig auszumachen war und aus beiden Jackentaschen schauten Verschlüsse von kleinen Wasserflaschen. Das er schon von den Donuts gegessen hatte, konnte man an leichten Puderzucker Spuren in seinem Mundwinkel erkennen.
Richard fühlte sich wesentlich besser. Bewegung, Coffein und Zucker hatten den Kater auch ohne die kleinen grünen Pillen gelindert. Auch waren einige Erinnerungen an die letzte Nacht etwas klarer geworden. Eine davon war, dass sich Mako und Adhara sich an beiden Händen haltend gegenüber Standen und sich Glücklich angrinsten wie es nur ein Glückliches, und Sturz besoffenes, Paar es konnten. Nur der Kontext entzog sich ihm noch. Er war sich aber sicher das die drei zusammen die Nacht zusammen Puzzeln konnten. Denn, wie hoch waren die Chancen das der Alkohol bei allen die gleichen Gehirnzellen zerstört hatte?
Die beiden Turteltauben saßen, jetzt deutlich weniger fröhlich, auf einer Couch. Schnurstracks steuerte Richard auf die beiden zu.
"Moin! Donut?" sagte Richard so Munter wie er es aufbringen konnte und hielt den beiden die Kiste mit den Donuts entgegen.
Adhara verzog leicht das Gesicht. Ihr Magen war noch etwas rebellisch, dass sie ihm weder Kaffee noch fettige Backwaren zumuten wollte. Doch ihr Blick blieb an den Wasserflaschen hängen.
"Wenn du ein Wasser abgeben würdest, würd ich lieber das nehmen.
Sie hatte im Hotel schon ein paar Zahnputzbecher Leitungswasser getrunken, doch der Nachdurst wollte sich nicht noch wirklich stillen lassen.
Richard wirkte etwas fitter als sie sich fühlte. Eigentlich war ihr eher danach, sich irgendwo in einer dunklen Ecke einzurollen und sich selbst zu bemitleiden. Die grünen Pillen verhinderten wahrscheinlich, dass sie es wirklich tat. Doch Wunder bewirken konnten sie auch nicht.
"Erinnerst du dich an irgendwas von gestern?"
In ihrem Blick lag fast etwas Flehendes.
"Vor allem: wer Yurien McBrenton sein könnte?"
Vorsichtig schob sie ihm die Urkunde hin.
"Setz dich vielleicht besser bevor du da drauf schaust...."
