Bei einer Frau wie ihr hätte man nach einem Satz wie "Schatz, ich war mal shoppen" vermutlich eine Lieferung an neuer chicer Kleidung, Makeup oder Parfum gerechnet, doch, das recht große längliche Paket, das Cassandra auf ihrem Schreibtisch liegen hatte, beinhaltete nichts anderes als einen IC-35 Laserkarabiner. Ein weiteres Stück in ihrer inzwischen wachsenden Sammlung. Jeder brauchte schließlich ein Hobby. Und die neue Errungenschaft wollte ausprobiert werden. Der erste Weg nach Feierabend führte Cassandra auf den Schießstand, nachdem sie sich etwas Bequemeres angezogen hatte. So ziemlich jede Waffe, die man hier ausleihen konnte, hatte sie schon probiert. Doch die eigenen waren immer etwas anderes... Es mochte ein seltsames Hobby für eine Psychologin und Diplomatin sein. Doch es half ihr auf eine eigentümliche Weise, zu entspannen und den Kopf frei zu kriegen. Glücklicherweise hatte sie noch nie auf ein Lebewesen schießen müssen. Doch das Wissen, sich im Notfall verteidigen zu können, hatte ihr beim Krieg gegen die Nephilim mehr Selbstbewusstsein gegeben. Hier auf dem Schießstand vergaß sie gerne mal die Zeit. Die meisten Menschen, die sie gut kannten wussten das. War sie weder in ihrem Büro, noch im Quartier und reagierte nicht auf Ausrufe, dann trug sie einen Gehörschutz und feuerte hoch konzentriert auf Zielscheiben. Dass es keine gute Idee war, sie dabei zu stören, hatte einst Desdichado am eigenen Leib erfahren....
Peter geht am Schießstand vorbei und wirft flüchtig einen Blick hinein. Er stutzt während er noch einen Schritt weiter geht, kommt dann zurück und sieht den Doc mit dem Gewehr hantieren. Er verschränkt die Arme, lehnt sich an den Türrahmen und sieht ihr interessiert zu.
Waterboy konnte klar erkennen, dass Cassandra nicht zum ersten Mal eine Waffe in der Hand hielt. Cerberus, ein ehemaliger Marine, hatte ihr damals Schießtraining gegeben. Inzwischen brauchte sie keinerlei Hilfe mehr. Und so langsam wurde sie mit ihrem Neuzugang vertraut, so dass sich ihre Trefferquote sich auch im Vergleich mit den anderen Piloten und Marines, die sich sonst hier tummelten, sehen lassen konnte. Sie bemerkte nicht, dass sie beobachtet wurde.
Cassandra, die kurz den Gehörschutz abgesetzt hatte, während sie die Einstellungen der Ziele änderte, wandte sich um. Die Stimme kannte sie.
"Jeder Mensch braucht ein Hobby,", gab sie fröhlich schmunzelnd zurück. "Und mit Ponyreiten sieht es hier eher mau aus...."
Das Gerücht von Ponies und einem Streichelzoo auf der Firewall hielt sich zwar tapfer in der TCN, doch bei ihrem kurzen Besuch dort vor ein paar Jahren hatte sie nichts dergleichen vorgefunden. Nur ein sehr großes Kommandantenbüro und ein noch viel größeres Diplomatenquartier, in dem sie sich sehr einsam gefühlt hatte.
"Wär auch nicht meins. Hab's nicht so mit Pferden. Ich mag sie lediglich in Salamiform."
Er zeigt auf das Gewehr.
Es gibt sicher schlimmere Hobbys. Es beruhigt mich ausserdem ungemein, das Sie mit so was umgehen können, falls wir nochmal wo hin geschickt werden. Wobei auf etwas, oder auf jemanden schießen einen grossen Unterschied macht. Aber das muss ich einer Psychologin sicher nicht erklären."
Er lächelt.
"Dachte zuerst, das wären Ihre ganz normalen Datevorbereitungen."
"Ich hätte nichts gegen Ponies. Hab mich als Kind mal eine Zeit lang um die vom Nachbarn gekümmert. Aber sie passen nicht so ins Setting..."
Space-Shetties.... Der Gedanke war so abstrus, dass sie ein Lachen unterdrücken musste. Doch mit dem Themenwechsel wurde sie schnell wieder ernst.
"Ich bin froh, dass ich noch nie auf ein Lebewesen schießen musste... Meine damalige Panik vor den Nephilim hat mich dazu motiviert, es zu lernen. Für den Fall, dass ich es mal brauche... Dass ich niemandem zur Last falle. Nicht beschützt werden muss."
Datevorbereitungen? Sie hob eine Augenbraue.
"Meinen Sie, nach bald 4 Jahren Ehe hätte ich bereits Mordgelüste?"
Sie dachte zurück an den Abend als sie Peter kennen gelernt hatte. Betrunken in einer Werftspelunke. Es war ein interessanter Abend gewesen. Szenen einer anderen Ehe... Diese lief definitiv besser.
"Hey, es sind 4 Jahre mehr, als ich geschafft habe. Keine Ahnung ob man da nicht schon im der Stimmung für nen Amoklauf ist."
Er verzieht grübelnd das Gesicht.
"Ich meine mich da an eine Doktorin in so ner Spelunke zu erinnern, bei der es schon in ner kürzeren Zeit fast soweit war..."
Er zwinkert, wird dann aber wieder ernst.
"Das mit den Nephilim kann ich nachvollziehen. Traumatische Erlebnisse verändern uns. Lassen uns auf einmal Sachen tun, an die man vorher nicht gedacht hätte. Aber wenn's uns hilft unsere Hilflosigkeit und Angst zurückzudrängen, und wieder zu funktionieren... wen kümmert es.
Er legt den Kopf schief und sieht auf die Waffe.
Ich war eher immer ein durchschnittlicher Schütze. Da ich Trauma nicht mit dem Griff zur Waffe, sondern anders bewältigt habe, hat sich das auch nie wirklich gebessert . Hab mir deshalb meist Waffen gesucht bei denen die Quantität der abgegebenen Schüsse über der Qualität steht. Oder was das schön streut. Da fällt es nicht so auf."
Sie musterte ihn schmunzelnd. Dieser Mann schien sensibler zu sein, als es einen der erste Eindruck glauben ließ. Allein damit, dass er zugab, traumatische Erlebnisse gehabt zu haben war er den meisten seiner Pilotenkollegen um Längen voraus.
"Das damals in Odessa war eine andere Version von mir. In dieser Zeit ging es mir miserabel. Alles in meinem Leben lief schief... Vieles hat sich seitdem neu geordnet. Ich weiß zwar nicht, ob ich jemals wirklich das Gefühl haben werde, irgendwo "richtig" anzukommen, aber ich versuch es zumindest nicht mehr so verzweifelt."
"Danke, danke nein. Es reicht mir schon, mich laufend mit meinem Mundwerk zu blamieren. Von Ben Zivilisten den Hintern versohlt zu bekommen, würde meinem Ego doch einen zu starken Knick geben. Und für uns Piloten ist das Ego doch alles."
Er lächelt versonnen.
"Lustigerweise bin ich hier angekommen, an einem Ort der niemals irgendwo ankommt."
Er legt den Kopf schief.
"Was verhindert denn bei Ihnen das angekommen-Gefühl? Ich meine, sie haben einen Mann den Sie nach drei Jahren immer noch nicht umbringen wollen, einen recht erfüllenden Job, nehme ich an, und allgemein werden Sie sehr geschätzt. Woran liegt's?