Pünktlich am nächsten Morgen stand Adhara planlos mit einem Kaffeebecher in der Hand auf der Krankenstation. Sie wusste nur, dass sie sich bei Dr Green melden sollte und war froh, den Weg auf Anhieb gefunden zu haben. Ein Wenig nervös war sie, wie dieser Arzt- oder war es eine Ärztin?- über ihre Akte denken würde. Würde er- so wie es Williamson ständig tat- sie versuchen zu überreden, das Medizinstudium wieder aufzunehmen? Würde er mehr in ihr sehen als eine kaputte Schlammkriecherin? Oder sie einfach akzeptieren wie sie war? Sie nippte an ihrem Kaffee.
Gähnend betrat Lily die Krankenstation. Viel Schlaf hatte sie nicht bekommen. Aus irgendeinem Grund war sie die halbe Nacht durstig gewesen... und hatte dementsprechend auch viel viel Zeit im Bad verbracht. Aber irgendwann hatte sie doch noch etwas schlafen können. Deutlich mehr als zu Assistenzzeiten.
Als sie durch die Tür trat, sah sie gleich eine dunkelhaarige Frau. Und mit einem Schlag fiel ihr wieder ein, was sie vergessen hatte.
Ups, das muss die Neue sein. Hab ich ja total verpeilt. Na gut... Augen zu und durch.
"Petty Officer Delacroix? Morgen, ich bin Lily Green. Willkommen an Bord!"
Das war die Chefmedizinerin? Adhara staunte nicht schlecht, denn die Frau war kaum älter als sie selbst. Sie versuchte, das nervige 'Das hättest du sein können, wenn du dein Studium durchgezogen hättest'- Stimmchen zu verdrängen.
"Oui, merci. Bonjour, Dr Green."
Sie reichte der Ärztin die Hand und ärgerte sich, dass sie den Kaffeebecher in der linken hielt. Wenn Green aufmerksam war, würde sie das Narbengewebe spüren. Viele Marines trugen ihre Kampfnarben mit stolz- und die anderen störten Adhara auch nicht- bloß diese verfluchte Hand....
Die Hand ihrer neuen Kollegin fühlte sich merkwürdig an. Die Haut war stellenweise stark erhoben und leicht verhärtet.
"Freut mich. Am besten gehen wir erst mal ins Büro. Da können wir uns in Ruhe unterhakten. Folgen Sie mir auffällig unauffällig."
Auf ihrem Weg in Büro streifte sie leicht - für ihre Verhältnisse - einen Rollwagen mit medizinischen Geräten, die ein wenig klapperten. Aber wenigstens fiel nichts runter. Auch die Bürotür verhielt sich kooperativ.
"Bitte, setzen Sie sich," sagte Lily und nahm selber Platz.
"Also, zuerst mal. Ich bin Lily. Sie können mich auch Grace nennen. Ist mein Spitzname. Warum, werden sie bald merken. Was sie über mich wissen sollten: ich bin manchmal viel zu ehrlich. So wie jetzt. Ich habe ehrlich gesagt noch keinen Blick in Ihre Akte werfen können. Also weiß ich fast nichts über Sie. Was nur fair ist, da Sie auch nichts über mich wissen. Fangen Sie einfach mal an, zu erzählen."
Fürs Erste war Adhara froh, dass Dr Green sie nicht auf ihre Hand ansprach. Doch das Folgende war nicht unbedingt besser, beziehungsweise würde mit voraussetzen, dass sie darüber sprach. Sie hasste es, von sich zu erzählen. Wofür gab es denn Akten?! Leicht missmutig setzte sie sich auf den angebotenen Stuhl und schlug die Beine übereinander. Ihren Coffee-to go- Becher hielt sie in beiden Händen. Sie entschied sich, nur die beruflich relevanten Details zu erzählen.
"Ich 'abe fünf Semester Medizin studiert. An der Sorbonne Paris. Dann 'abe ich es für eine bessere Idee ge'alten, Sol aktiv von den Mantu zu befreien und 'abe mich den Marines angeschlossen. Ich war bei der Schlacht um Sol dabei."
Beim letzten Satz schwang ein gewisser Stolz in ihrer leicht kratzigen dunklen Stimme mit.
"Et voilà... Ich bin immer noch bei den Marines....'abe Erfahrung als Combat Medic gesammelt...und meine Kameraden in den abstrusesten Situationen mit den einfachsten Mitteln am Leben ge'alten..."
"Also sind sie ein ziemlicher MacGyver. Das ist gut. Heißt, sie denken außerhalb der Box. Würden Sie mir da ein paar Beispiele geben? Wir sind auch für die Aus- und Weiterbildung der Sanis verantwortlich. Das ist es ganz gut, wenn wir ihnen auch andere Mittel und Wege aufzeigen können."
"Bien... Medizinische Erstversorgung mitten in einer Kampfsituation erfordert manchmal...außergewöhnliche Mittel und Wege. Nicht immer 'sterile' Wege..."
Man merkte ihr an, dass sie nicht gerne mit der Sprache herausrücken wollte.
"Ich musste das Bein eines Kameraden mit einer 'andsäge aus einem nahegelegenen Keller amputieren. Er war eingeklemmt und es gab keine andere Wahl. Unser Shuttle 'atte nicht die eleganteste Landung gehabt... Ich arbeite mit den Mitteln, die ich 'abe. Manchmal ist es nicht möglich, den Verbandskasten mitzuschleppen. Da muss man dann improvisieren und schauen was da ist. Kleidungsstücke für Verbände, Magazine für Druckverbände...Äste als Schienen."
